meine Zeit in Palästina/Israel ist nun fast vorüber. Bevor ich zurück komme, will ich euch mit diesem Rundbrief nochmal kurz auf den neuesten Stand bringen und das ein oder andere kleine Fazit ziehen.
Zunächst zur Arbeit und zu Neve Shalom/Wahat Al Salam als Projekt: Nach 10 Monaten in der Schule, arbeite ich jetzt seit Anfang Juli „im Pool“, wie jedoch auch in der Schule beschränkt sich die Arbeit größtenteils aufs Saubermachen. Nach ca. 11 Monaten Putzen kann ich nun mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass dies nicht der Beruf ist, den ich in Zukunft ergreifen will… Das ich keine interessante Arbeit verrichten werde, war mir aber vorher klar und das war auch mehr oder weniger ok so. Enttäuscht bin ich allerdings von dem Dorf in vielen anderen Punkten, unter anderem davon, wie Volontäre oft behandelt und gesehen werden (nur als billige Arbeitskraft etc.) sowie von den vielen, vielen Konflikten, die es innerhalb des Dorfes gibt. Vor allem gab es einige Probleme mit der Volontärs-Koordinatorin und dem Manager des Dorfes, bei denen uns ein Verhalten entgegengebracht wurde, dass ich komplett unmöglich finde. (Ich möchte das jetzt hier nicht weiter ausführen) Jedenfalls kann ich Wahat Al Salam/ Neve Shalom als Platz für Volontäre nicht weiter empfehlen.
Natürlich gibt es auch viele positive Dinge hier (man kann dem Dorf z.B. zu gute halten, dass die Streitigkeiten eigentlich nie etwas mit dem Konflikt zwischen Juden und Arabern zu tun haben und ich hatte trotz vieler Ärgernisse von der „offiziellen“ Seite eine sehr gute Zeit hier, denn es stand hier für mich nie die Arbeit im Vordergrund, sondern vielmehr die Begegnung mit Menschen (für gewöhnlich außerhalb der Arbeit), sowohl mit Volontären aus aller Welt als auch mit Israelis und Palästinensern. Ich hatte hier nicht nur die Möglichkeit viele interessante Menschen kennen zu lernen sondern auch gleich zwei Kulturen, die jüdisch-israelische und die palästinensische, näher zu erleben.
Viele der Gespräche /Begegnungen… die ich hier hatte bzw. habe, drehen sich um Politik oder finden im Rahmen von politischen Aktionen statt.
Einige Dinge wirken aus der europäischen Perspektive (die ich auch nach der langen Zeit hier noch habe) sehr unwirklich. Beispielsweise war ich mehrmals nachts in Bil’in (ein Dorf in der Westbank, dass mit wöchentlichen Demonstrationen, (erfolgreichen) Klagen und anderen Aktionen gegen die (in diesem Fall selbst nach israelischem Recht, nach internationalem Recht sowieso) illegale Mauer innerhalb ihrer Dorfgrenzen relativ gewaltfrei protestiert). Dort wurden in den letzten Wochen über 20 Jugendliche nachts „entführt“ (von der israelischen Armee verhaftet, ohne Haftbefehl oder ähnliches). Um diese „Verhaftungen“ zu dokumentieren und wenn möglich zu verhindern haben dann Internationale und Israelis aus der Friedensbewegung zusammen mit den Palästinensern aus Bil’in die Nächte dort verbracht und Ausschau nach den Soldaten gehalten. Die Vorgehensweise der Soldaten erinnert ein wenig an ein Nachtgeländespiel des CVJMs, es ist jedoch bitterer Ernst, verbringen die verhafteten Jugendlichen doch 4 Monate im Gefängnis und werden unter Folter (Tritten, Schlägen etc.) gezwungen ihre „Taten“ zu gestehen und weitere Jugendliche zu verraten. Der Vorwurf: Steineschmeißen werfen auf Demonstrationen.
Jedenfalls werden die Soldaten in Gruppen zu ungefähr 20 einige Kilometer entfernt vor dem Dorf abgesetzt. In voller Tarnmontur (inklusive Farbe im Gesicht) schleichen sich die Soldaten dann ins Dorf. Meist kommen die Soldaten zwischen 3:00 und 5:00 Uhr morgens im Dorf an, schleichen sich zu dem Haus, in dem sie ihr „Ziel“ vermuten und brechen dann die Tür auf um denjenigen zu verhaften. Anschließend kommen Militärjeeps ins Dorf und bringen sowohl Soldaten als auch den Verhafteten aus dem Dorf. Das Ziel der internationalen und israelischen Aktivisten ist hauptsächlich Dinge zu dokumentieren (filmen und fotografieren) und durch die Präsenz die Soldaten zu weniger gewaltvollem und willkürlichen Verhalten zu bewegen.
Während der Nächte, in denen ich in Bil’in war, kamen (zum Glück) keine Soldaten, 2 US-amerikanische Aktivisten, mit denen ich relativ viel Zeit verbracht habe, wurden jedoch inzwischen verhaftet und sollen abgeschoben werden. Einer von ihnen, Charlie, wurde direkt in der Nacht, nachdem ich mit ihm zusammen „Nachtwache“ gehalten habe, verhaftet (und zwar so verhaftet, dass ihm dabei eine Rippe gebrochen ist), weil er sich vor den Eingang zu einem palästinensischem Haus gestellt hat. (Diese Dinge sind übrigens nicht Gerüchte, die ich irgendwo gehört hab, sondern Dinge, die ich teils mit eigenen Augen gesehen habe, teils aus erster Hand von Zeugen erzählt bekam. Vieles ist auch auf YouTube zu finden (in Form von Videos), oder auf folgenden Websites: http://palsolidarity.org/, http://www.bilin-village.org/ )
Eine weitere traurige Tatsache, die ich bemerkenswert finde, ist dass die „Szene“ der Israelischen Friedensaktivisten sehr klein ist. Ich würde behaupten, dass ich zumindest 80% der Aktivisten aus der Gegend Tel Aviv - Jerusalem vom Sehen kenne. Gemessen an der Größe der israelischen Aktivisten gibt es allerdings sehr viele Internationale. Das führt dazu, dass man ab und zu zufällig Leute trifft, die man auf irgendwelchen Demos schon mal getroffen hat.
Eine sehr interessante Persönlichkeit haben Marvin und ich während einer Reise nach Ägypten in einem Hostel in Kairo zufällig wieder getroffen. Sie ist eine ca. 70-80 jährige Nonne, die wir während einer Friedenskonferenz in Bil’in getroffen hatten. Eine lange Zeit in ihrem Leben (über 15 Jahre) hat sie in Gaza gearbeitet, wo sie auch im Moment wieder hin wollte. Dazu hatte sie am Folge Tag einen Temin im Ägyptischen Außenministerium. Ihrer Meinung nach ist die Hamas eine harmlose Organisation, die nur den Frieden will und mit ihrer Charta eigentlich nicht mehr wirklich viel zu tun hat. Sicherlich ist diese Bild stark subjektiv geprägt und nicht ganz der Realität entsprechend. Allerdings hat Hamas Israel wiederholt Friedensangebote gemacht und ist zu Gesprächen ohne Vorbedingung bereit. Und dass sie nicht durch und durch islamisch-konservativ ist, zeigt unter anderem, dass sich der Hamas Außenminister (2. Höchster Hamas Funktionär in Gaza) mit Code Pink, einer US-amerikanischen, feministischen-pazifistischen Organisation getroffen hat. Die Leute von Code Pink hab ich kurz darauf getroffen, sie beschrieben die Hamas als sehr freundlich. (Eigentlich wollten sie sich nicht mit Hamas treffen, aber bei so einer Einladung kann man ja auch schlecht ablehnen) Auch einen Brief von der Hamas an Obama (den Code Pink zustellen soll) hatten sie im Original dabei und der klang sehr vernünftig.
Natürlich möchte ich die Hamas nicht verharmlosen, Selbstmord Attentate sind abscheulich und Raketen auf Zivil-Bevölkerung abschießen ist moralisch verwerflich. Aber im Angesicht der (deutlich) zahlreicheren willkürlichen und gezielten Verhaftungen und Tötungen, der Blockade von Gaza, der Besatzung der Westbank und wiederholten kriegerischen Handlungen, bei denen die Kollateral- Schäden in der Zivilbevölkerung so hoch waren, dass man getrost von Massakern sprechen kann, stellt sich mir schon die Frage, welche der gewählten Regierungen (und beide Regierungen sind gewählt) den größeren Terror verbreitet.
Ich erhebe nicht den Anspruch in irgendeiner Weise objektiv urteilen zu können, aber ich habe einige Aspekte der Besatzung, bis hin zum willkürlichen Töten, hautnah miterlebt und kann trotzdem nur ansatzweise verstehen wie es sein muss, dies tagtäglich zu erleben. Und wenn ich von Besetzung, Massakern und Apartheid spreche (und das tue ich, auch wenn die Apartheit nicht wie die in Südafrika ist, ist wenn man die Gesellschaft in dem Gebiet, dass bis 1948 das Britische Mandat für Palästina war, ein System der Rassentrennung nicht von der Hand zu weisen), dann spreche ich nicht einfach so daher, sondern habe mich relativ umfassend mit der jüngeren Geschichte des „heiligen Landes“ beschäftigt.
Wer Dinge anders sieht und/oder Fragen/Kommentare hat kann mich gerne ansprechen (am besten direkt in Persona, wenn ich wieder da bin), ich bin gerne bereit über die Politik im Nahen Osten zu diskutieren.
Liebe Grüße aus Palästina/Israel und Gottes Segen
Jonathan