Donnerstag, 27. November 2008

Erster Rundbrief

Liebe Unterstützer, liebe Freunde und Bekannte,

seit zweieinhalb Monaten bin ich jetzt schon hier in Wahat al- Salam/Neve Shalom, der Oase des Friedens. In diesem ersten Abschnitt meines Freiwilligen-Jahres habe ich schon vieles erlebt und gesehen.
Zunächst allgemein zu meinem Projekt: Wahat al- Salam/Neve Shalom ist ein Dorf, in dem 55 Familien leben, das sich in der Nähe von dem Kloster Latrun und auf ungefähr halbem Weg zwischen Tel Aviv und Jerusalem befindet, und das bis Anfang des Jahres noch Neve Shalom/Wahat al- Salam hieß. In dieser Gemeinschaft leben zu gleichen Teilen arabisch-palästinensische und jüdische Familien und Ziel des Dorfes ist es zu zeigen, dass beide Völker/Nationen friedlich miteinander leben können. Peace is possible.
Gegründet wurde das Dorf 1970 von dem katholischem Priester Bruno Hussar. Einer seiner Hauptgedanken war dabei das Zusammenleben der Religionen (Christen, Muslime/Moslems und Juden), dies ist jedoch aus meiner Sicht in den Hintergrund gerückt, da viele Familien im Dorf säkular sind.
Neben den Wohnhäusern der Familien umfasst das Dorf die School for Peace, ein Gästehaus (Hotel), einen Swimmingpool, ein Auditorium, das pluralistische Spiritual Center, das House of Silence, einen Kindergarten und eine Grundschule (in der ich arbeite) sowie unser Volonteers-Haus.
Im Moment sind wir 5 deutsche Volontäre, es ist aber nicht immer so, dass alle Volontäre aus Deutschland kommen und bis vor einem Monat waren z.B. auch noch eine Engländerin und eine Italienerin da.
Neben mir sind dann momentan noch Marvin, Sebastian, Maya und Bea da. Unser „Haus“ besteht aus 3 „Units“, in denen jeweils 2 Zimmer und ein Bad sind, einem Innenhof, einer Küche, einem Wohnzimmer und einer Dachterrasse.
Marvin arbeitet im Gästehaus, das im Grunde einfach ein Hotel ist, in das Leute kommen können, die sich für WASNS interessieren oder einfach Urlaub machen möchten.
Sebastian arbeitet als Construction Worker im Hausmeisterbereich sowie in den Gärten des Dorfes. Bea arbeitet im Spiritual Center und im Office. Das Spiritual Center besteht (im Grunde) aus 2 Seminarräumen und wird meist an Gruppen von außerhalb vermietet. Ab und zu wird es auch für Events aus dem Dorf genutzt. Beispielsweise wurde im Ramadan dort viermal Ifta, das Fastenbrechen, gemeinschaftlich gefeiert oder auch Sukkot, das Laubhüttenfest der Juden.
Maya und ich arbeiten zusammen in der Grundschule. Die Grundschule in NSWAS ist eine von 3 bilingualen Schulen in Israel und war längere Zeit die einzige. Wie auch im Rest des Dorfes steht die Gleichberechtigung der palästinensischen und jüdischen Kinder, der Sprachen und der Kulturen schon sehr im Vordergrund. So sind in den ersten Klassen immer 2 LehrerInnen anwesend, ein arabischer und ein jüdischer. Da besonders die jüdischen Kinder oft nur einsprachig erzogen wurden, ist das auch notwendig.
Die Grundschule in Israel reicht von der ersten bis zur sechsten Klasse, insgesamt besuchen etwa 200 Schüler die Schule in WASNS, wobei in den niedrigen Jahrgängen sehr viel mehr Schüler sind, was unter anderem daran liegt, dass vor 6 Jahren, als der momentane Abschlussjahrgang eingeschult wurde, die Zweite Intifada stattfand und vor allem viele jüdische Eltern ihre Kinder auf jüdische Schulen geschickt haben. Die Schüler von außerhalb des Dorfes machen nämlich inzwischen den größten Anteil der Schüler aus, etwa 90%. Es gibt zwei 1. Klassen, eine große 2. Klasse, zwei 3. Klassen, eine große 4. Klasse, eine 5. Klasse und eine kleine 6. Klasse
Die Schule hat neben dem auch in Deutschland üblichem Unterrichtsangebot, wie Sprachen (Arabisch, Hebräisch, Englisch) Musik, Kunst, Naturwissenschaften, Religion etc. auch Unterricht mit Tieren (in der Schule gibt es einen kleinen „Zoo“, Gartenarbeit (es gibt ein Gewächshaus und Beete draußen) und Kommunikationsunterricht.
Die Aufgaben von Maya und mir sind vom Prinzip eingeteilt in Vor- und Nachmittagsaufgaben. Vormittags hilft Maya hauptsächlich in der Bücherei der Schule. Ich unterstütze zum Einen Voltaire (den Hausmeister) im Zoo oder im Gewächshaus, trage Dinge umher (z.B. hole ich jeden Tag das Essen für den Kindergarten von der Hotelküche), fege den Schulhof, hebe Müll auf, repariere kleinere Dinge, laminiere oder streiche; ich kümmere mich also um alle Dinge, die im Schulalltag so anfallen. Außerdem helfe ich noch Raida im Englischunterricht in der 3. Klasse. Es gibt dort 2 jüdische Jungen, die für ein paar Jahre in den USA waren und deshalb im Englischen dem Rest der Klasse weit voraus sind. Mit den beiden übe ich dann Lesen, Schreiben und Text-Verständnis in Englisch. Nachmittags spiel ich dann zunächst noch Fußball mit der sechsten Klasse, bevor dann der zweite Teil der Arbeit anfängt: nämlich das Putzen der Schule.
Der Unterricht endet um 15.10 Uhr und für gewöhnlich sind auch alle Schüler bis dann da. Wenn die Schüler gegangen sind, fangen wir, d.h. Sophie, Maya und ich, an zu putzen. Sophie ist eine Palästinenserin, die dafür eingestellt ist und bis vor Kurzem war auch noch ein zweiter Palästinenser (Omar) eingestellt. Da aber das gesamte Dorf im Moment wenig Geld hat, da die Groß-Spender, auf die das Dorf angewiesen ist, wegen der Finanzkrise weniger Geld haben und deswegen weniger spenden, hat auch die Schule wenig Geld und musste Omar entlassen.
Geputzt werden die Klassenräume, die Flure und die Toiletten. In den Klassenräumen heißt das: zunächst Stühle hochstellen/Sachen vom Boden aufheben, dann fegen und dann wischen. Auch in den Fluren und Toiletten muss gefegt und gewischt werden und dann müssen noch die Toiletten selbst geputzt werden.
Ich putze normalerweise im neuen Gebäude, das heißt ich mache die Klassenräume der dritten, fünften und zweiten Klasse, den Flur und die Toiletten dort.
Wir sind mit dem Putzen dann meist zwischen 5 und halb 6 Uhr fertig, abhängig davon, wie dreckig es war, ob es geregnet hat oder ab und zu müssen wir auch die Tische in den Klassenräumen abwischen.
Gerade so in der zweiten, dritten, vierten Woche war das relativ anstrengend, Putzen ist ja auch nicht unbedingt meine Lieblingsbeschäftigung, aber inzwischen ist es eigentlich ganz ok. Mit Musik über Mp3-Player während dessen hören hab ich mich in einen ganz guten Rhythmus da eingefunden.
Meine Freizeit ist für mich bisher auf jeden Fall deutlich mehr als ganz ok. Bisher habe ich Jerusalem, Tel Aviv, Jaffa, Betlehem, Beit Jala, Beit Sahour, Ramallah, Taybeh, Tel Dan, Banjas, Mitzpe Ramon, das Tote Meer, die Wüste, Akko und noch so einiges mehr gesehen. Neben vielen historisch interessanten Stätten, netten Stränden und teilweise schöner Natur interessiert mich eigentlich hauptsächlich der Konflikt. Durch Kontakte aus dem Dorf, hauptsächlich über einen politisch sehr aktiven jüdischen Jugendlichen, Yuval, war ich auch schon auf einigen Demos und politischen Aktionen. Da gibt es im Prinzip 2 grundsätzlich unterschiedliche Typen: einmal Demos in Israel und einmal in Palästina (der Westbank). In Israel ist die Wehrdienst Pflicht, wirklich Pflicht und zwar für Jungen 3 Jahre und Mädchen 2 Jahre. Wer nicht in die Armee will, muss verweigern, was allerdings illegal ist. Das heißt, solange man nicht als streng orthodoxer Jude anerkannt wird (was aber kaum möglich ist, wenn es nicht stimmt), oder als Pazifist (was auch sehr schwierig ist, wenn es stimmt), oder von einem Psychiater für unzurechnungsfähig/unbrauchbar für die Armee eingestuft wird, muss man ins Gefängnis.

Wie lange man ins Gefängnis muss, weiß man vorher nicht genau, da man immer für ca. 2-3 Wochen ins Gefängnis kommt und dann erneut verweigern muss. Das Längste, was einige Israelis absitzen mussten, waren 2 Jahre, aber das ist der absolute Ausnahmefall.
In diesem Jahr gehen allerdings auch nur 8 Jugendliche in ganz Israel ins Gefängnis, einer davon ist Yuval am 24. November.
Die Demonstrationen in Israel, die ich bisher besucht habe, waren alle gegen diese Methode der Armee bzw. der Regierung und waren vor Armee Camps und Militärgefängnissen. Vom Prinzip unterscheiden die sich nicht sehr von Demonstrationen in Deutschland, es gibt ein paar Sprechchöre, aber keine Ausschreitungen oder Gewalt von Demonstranten oder Polizei. Meist sind so zwischen 50 und 120 Menschen da.
Die Demonstrationen in Palästina, genauer in Bil’in und Nil’in verlaufen deutlich anders. Hier wird gegen die Mauer und die Besatzung Palästinas protestiert. Bil’in und Nil’in sind 2 arabische Dörfer in der Nähe von Modi’in. Beide liegen ein gutes Stück innerhalb der „Grünen Linie“, der Grenzen, die die UNO anerkennt. Jedoch sind direkt an die arabischen Dörfer israelische Siedlungen gebaut (Modi’in Illit und Hashmona’im), diese Siedlungen sind nach internationalem Recht illegal und um diese Siedlungen zu schützen, wird von der Armee die Mauer gebaut. Die Mauer besteht zum Teil aus einer bis zu 8 m hohen Mauer mit Stacheldraht und zum Teil aus elektronischem Zaun, wird aber einfachheitshalber meist nur Mauer genannt. Die Mauer, sowie sie bereits existiert und noch gebaut werden soll, isoliert zum einen die gesamte Westbank von Israel, zum anderem ist sie aber auch mitten in der Westbank um israelische Siedlungen herum. Im Durchschnitt weicht die Mauer 7 Kilometer von der Grünen Linie ab, natürlich nicht zu Gunsten der Palästinenser sondern über ihr Land, über ihre Felder oder durch ihre Gärten. Dadurch und durch die Siedlungen wird den Palästinensern nicht nur der Platz für jede natürliche Expansion ihrer Dörfer genommen, sondern sie werden oftmals auch von ihren (Oliven-)Feldern abgetrennt, bzw. beim Bewirtschaften der Felder von Siedlern bedroht. Deswegen habe ich auch schon ein paar mal bei der Olivenernte von Palästinensern nahe der Mauer/nahe Siedlungen geholfen.
In Bil’in und Nil’in protestieren die Menschen gegen die Mauer und Besatzung auf wöchentlichen Demonstrationen. Vom Prinzip ist der Ablauf immer ähnlich, das Level der Gewalt schwankt allerdings von Woche zu Woche (in Nil’in ist es „härter“ als in Bil’in). Die Palästinenser des Dorfes sowie Internationale und Israelis treffen sich im Dorf und gehen gemeinsam Richtung Mauer. Dabei werden Sprechchöre auf Arabisch und Hebräisch, selten auch mal auf Englisch gerufen. Irgendwann fängt dann das Militär an mit Tränengasgranaten und gummiummantelten Stahlgeschoßen zu schießen. Die Gummigeschoße dürfen zwar eigentlich nur ab einer Distanz von 40 m und nur auf die Beine benutzt werden, werden aber auch von unter 20 m auf den Kopf benutzt. Und auch das Tränengas ist kein Spaß.
Metallgranaten, die ungefähr 150m weit fliegen, werden öfters auch mal aus 20-30m waagerecht statt senkrecht in die Demonstranten geschossen. Und wenn man nicht direkt getroffen wird, auch das Tränengas kann einen schon außer Gefecht setzen und schon wenig Tränengas (was man immer abkriegt) brennt tierisch und schmeckt abscheulich.
Wer jetzt besorgt um mich ist, dem kann versichert sein, dass bei den Gummigeschoßen „glücklicherweise“ hauptsächlich die Araber ins Visier genommen werden, denn ernsthaft verletzte Israelis oder Internationale will man nicht in den Nachrichten haben.
Um ernsthaft verletzte Araber kümmern sich die Nachrichten leider nicht sehr, weder in Israel noch in Europa.
Diesen Sommer wurden in Nil’in zwei Kinder (um die 12) erschossen. Ein Junge mit einem Gummigeschoß aus nächster Nähe in den Kopf, ein Junge mit „life amunition“ echter Munition.
Man wird halt bei den Demos nicht wie in Deutschland von Polizei überwacht und unter Kontrolle gehalten. Man wird von der Armee bekämpft. Auch in Israel ist der Einsatz der Armee im Inneren des Landes verboten. Aber Palästina ist ja nicht im Landesinneren…
Doch meine Freizeit dreht sich natürlich nicht nur um Politik. Neben den anderen Volontären lernt man auch gut Jugendliche aus dem Dorf oder andere Volontäre oder Leute auf Demos etc. kennen. So hab ich z.B. schon mal mit Marvin und Sebastian bei einer israelischen Frau (die die beiden beim Trampen getroffen haben) in Tel Aviv übernachtet oder auch bei Liam, einem Engländer, den wir in NSWAS kennen gelernt haben, in Beit Sahour. Mit ihm haben wir nicht nur relativ viel sehr gutes palästinensisches Bier (Taybeh) getrunken sondern auch in einer Bar nette internationale und palästinensische Leute getroffen und sehr gut gegessen.
Das Essen ist, ähnlich wie das Wetter, ein weiterer Umstand, der mir an Palästina/Israel sehr gut gefällt. Humus mit Hackfleisch und Pita ist z.B. ein sehr einfaches, schnell zubereitetes und sehr leckeres Essen.
Und 28 Grad Mitte November ist natürlich auch nicht verkehrt (auch wenn die Nächte schon kühl sind).
Es gäbe sicherlich noch einiges mehr zu erzählen, aber an dieser Stelle soll das erstmal genug sein.
Wer mehr lesen will, kann das gerne auf meinem Blog tun (ffdip.blogspot.com), da für gewöhnlich auch in mundgerechteren Happen als dreieinhalb Seiten.
Ganz liebe Grüße und Gottes Segen wünscht euch
Jonathan

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