Dienstag, 10. März 2009

Zweiter Rundbrief

Zweiter Rundbrief

Liebe Unterstützer, liebe Freunde und Bekannte,

seit fast 6 Monaten bin ich nun in Israel, das heißt, die Hälfte meiner Zeit hier ist um und mein zweiter Rundbrief ist schon fast überfällig.
Der Konflikt und damit Politik ist in Israel und deshalb auch in meinem FFD sehr zentral, auch in Deutschland war ja zum Beispiel der Gaza Krieg Anfang des Jahres sehr präsent. Deswegen möchte ich einige politische Gespräche mit Palästinensern und Israelis schildern, die ich in letzter Zeit hatte. Die Gespräche sind mir natürlich nicht Wort-wörtlich im Kopf geblieben, aber ich habe versucht nach bester Erinnerung ihre jeweiligen Positionen in kursiver Schrift wieder zu geben.

Reuven Moskovitz ist Mitbegründer von Neve Shalom, hat das Dorf jedoch aufgrund von privaten Differenzen ziemlich zu Beginn wieder verlassen. 2008 hat er seinen 80. Geburtstag in Neve Shalom gefeiert, er ist Holocaust-Überlebender. Er kommt jedoch ab und zu auch so zu Besuch und bei so einer Gelegenheit haben Marvin und ich uns mit ihm über den Krieg und die politische Lage unterhalten. Reuven ist Friedensaktivist und politisch (für israelische Verhältnisse) ziemlich links. Insofern gehört er zu der kleinen israelischen Minderheit von weniger als 10%, die gegen den Krieg in Gaza war: Die Angriffe, bei denen größtenteils Zivilisten umgekommen sind, haben nur den Hass auf Israel geschürt und der Hamas inter- und national Rückhalt in der arabischen Bevölkerung verschafft.
Die Versorgung der Menschen im Gaza-Streifen während (und nach) des Krieges ist noch schlechter geworden, und das obwohl vorher ohnehin schon nur 25% der benötigten Nahrungsmittel, Treibstoffe, Baumaterialien und Wasser durch die Blockade gelassen wurden.

In einem kleinen Landgut nahe Betlehem (Dahers Weinberg), haben wir mit einem der Besitzer gesprochen. Aufgrund der fehlenden Baugenehmigung haben sie weder Strom noch fließend Wasser, während alle Siedlungen rundherum gut versorgt sind. Das dort stattfindende Tent of Nations organisiert Treffen zwischen Palästinensern und Internationalen, wenn möglich auch Israelis:
Wir haben nichts gegen Juden, nichts gegen die Menschen, wir haben nur Probleme mit der Israelischen Politik. Würden die Israelis sehen wie es uns geht, unter was für Umständen wir leben, könnten sie uns besser verstehen. Wenn es Dialog gibt, gibt es Hoffnung auf Frieden.

Maya, Marvin und ich waren bei einer orthodoxen (jüdischen) Siedler- Familie zum Essen eingeladen. Maya wurde beim Trampen von dem Mann mitgenommen und hatte sich so gut mit ihm unterhalten, dass wir sie abends mal besuchen konnten: In Israel streben fast alle, selbst die Rechten, Frieden mit den Palästinensern an, die Palästinenser wollen aber auf kein Angebot eingehen. Wir geben den Palästinensern so viel (Land, Versorgung in Gaza, sogar Waffen für ihre Polizei) und sie sind nie dankbar, wollen immer mehr und schießen auf uns. Es gab nie einen Palästinensischen Staat, gäbe man den Palästinensern die Westbank oder Gaza wären sie immer eine Bedrohung, weil sie Juden hassen. Die Palästinenser sollten mit Geld entschädigt werden und einen neuen Anfang in Jordanien, Ägypten, Syrien, Libanon haben.

Yuval mit dem T-shirt: Smash Israeli Apartheid.


In Bil’in, dort wo die freitäglichen Demonstrationen gegen die Mauer stattfinden, werden die Verantwortlichen öfters von verschiedener internationaler Presse interviewt:
Israel nimmt uns immer mehr von unserem Land, von unseren Feldern weg. Wir wollen keine Mauer und keine Siedlungen, die uns unser Hab und Gut wegnehmen. Wir wollen keine Besatzung, wir wollen einen eigenen Staat. Dafür kämpfen wir gewaltfrei und in Kooperation mit vielen internationalen Helfern.

Mit Yuval, unserem Nachbarn (jüdisch), der verweigert hat in die Armee zu gehen und deshalb ins Gefängnis musste, sprechen wir natürlich auch viel über Politik: Im Gefängnis sind natürlich größtenteils weniger gebildete Leute; bei Kriegsbeginn in Gaza wurden dort die Nachrichten bejubelt, wenn es hieß: wir haben wieder „so und soviel Araber getötet“, das ist schon sehr faschistisch. (Dazu, dass in Deutschland auf einer pro-Gaza Demo eine Israel Flagge an einem nahestehenden Haus von der Polizei entfernt wurde) Ja, ich hasse die (israelische) Flagge auch und hätte versucht sie abzureißen.

An Weihnachten in Bethlehem haben wir einen Palästinenser getroffen, der Hamas wählt. Sein Englisch war relativ schlecht, trotzdem hat er versucht uns zu erklären warum: Fatah besteht nur aus korrupten Leuten, die geben das Geld ihren Familien und kümmern sich nicht um die Palästinenser. In all den Jahren haben sie nichts erreicht, die Mauer, die Besatzung etc. ist alles schlimmer statt besser geworden. Ich bin nicht religiös, aber Hamas kann was erreichen, die setzen sich ein für uns.

Viele der Gespräche fand ich sehr interessant, auch wenn ich einige Positionen nicht teile bzw. sogar stark ablehne, fand ich alle Gesprächspartner mehr oder weniger sympathisch. Viele Friedensaktivisten haben relativ wenig Hoffnung auf eine baldige Lösung des Konfliktes, vielmehr scheint der Frieden immer weiter in die Ferne zu rücken. Nach dem in Gaza die Hamas mit Mehrheit gewählt wurde und auch im Westjordanland die Hamas erstarkt, hat meiner Meinung nach Israel in den Wahlen im Februar 2009 auch nicht für Dialog und Frieden gewählt. Hamas ist zu einem Teil eine islamistische Partei und will Israel zerstören, sie besteht jedoch nicht nur aus ihrem bewaffneten Arm. Die Hamas unterhält auch viele Sozial- Projekte für die Palästinenser und sammelt auch so Sympathien im Volk.
Das Hamas eine extremistische Partei ist, die Frieden schwierig macht, ist -denke ich- fast allen klar. Liebermann’s Partei Yisrael Beiteinu erscheint mir aber keinen Deut besser. Ähnlich faschistisch wie die NPD in Deutschland kam er besonders bei jungen Israelis so gut an, so dass er drittstärkste Kraft in Israel ist. Sein Hass und Verlangen Palästina auszulöschen kann sich mit dem der Hamas meiner Meinung nach ganz gut messen.
Trotz des Rechts-Rucks und des Konfrontationskurs auf beiden Seiten glaube ich, dass Frieden möglich ist, wenn Juden und Palästinenser sich öfter persönlich treffen würden und nicht in einem System, dass Züge von Apartheid trägt, streng getrennt leben und Angst und Groll gegenüber dem unbekannten Feind ganz in der Nähe aufbauen. Treffen zwischen Israelis und Palästinenser werden von immer mehr Organisationen (unter anderem der School for Peace in Neve Shalom) organisiert. Das gibt zumindest einen Hoffnungsschimmer.


Natürlich gibt es von meinem FFD nicht nur Politisches sondern auch Persönliches zu berichten. Die Arbeit, die ich verrichte, hat sich noch einmal ein wenig geändert, ein gewöhnlicher Arbeitstag von mir sieht in etwa so aus:
6.30: Aufstehen, Malka, eine Erzieherin des Kindergartens, aus einem Nachbardorf abholen.
9.30: Anfang der Arbeit in der Schule, Schulhof fegen und Müll aufsammeln bis
12.00: Essen für den Kindergarten bringen, kleine Reparaturen erledigen und was sonst so anfällt
13.30: Mittagspause
14.30: Putzen der Klassenräume und Toiletten
~16.30: Fertig
Alles in allem keine besonders spannenden Aufgaben, ich höre mir meistens Hörbücher über Mp3 Player beim Putzen an, dann ist es durchaus o.k.

Neben der Arbeit unternehme ich sonst relativ häufig was zusammen mit den anderen Freiwilligen und ein paar Jugendlichen aus dem Dorf. Ein kurzes Update was für Volontäre im Moment da sind: Marvin (deutsch), Maya (deutsch), Sebastian (deutsch), Sonia (Schweiz), Diana (USA), Elana (USA) und Fes (England). Wir sind also in letzter Zeit noch ein paar mehr Leute geworden. Wir gucken öfters mal Filme zusammen, kochen, haben politische oder religiöse Diskussionen, gehen mal in einen Pub, machen „volunteer’s trips“ etc. und gehen natürlich auf Demonstrationen.

Vom Wetter her entspricht es hier im Moment (meistens) einem schönen Frühlingstag in Deutschland, je nach Region (Eilat, im Süden), auch schon einem netten Sommertag. Im Februar im Meer schnorcheln ist schon eine nette Sache und auch der letzte Regen für dieses Jahr (bis Oktober oder so) sollte in den nächsten Wochen fallen.



Ich bete dafür, dass Gott die Herzen der Menschen anrührt, die Hass empfinden, die frustriert und verbissen sind. Der Herr schenke die Fähigkeit und Geduld und Liebe, die andere Seite des Konflikts zu hören und zu erkennen, dass sich hinter der Fassade des Feindes Menschen verbergen, die es verdient haben ein würdevolles, gleichwertiges Leben in Frieden und Freiheit zu führen.

Der Herr segne und behüte euch

Jonathan

„Wer sagt, hier herrscht Freiheit, der lügt. Freiheit herrscht nicht“. Erich Fried


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